Gemeinsames Schreiben des Landrats und der Oberbürgermeister und Bürgermeister*innen des Landkreises Rastatt wegen der aktuellen Situation in der Flüchtlingsunterbringung

Veröffentlicht am

Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser
Ministerin für Justiz und Migration Baden-Württemberg MdL Marion Gentges
Minister für Inneres, für Digitalisierung und Kommunen Baden-Württemberg MdL Thomas Strobl
Bundestagsabgeordnete
Kai Whittaker (CDU) – info@whittaker.de
Gabriele Katzmarek (SPD) – gabriele.katzmarek@bundestag.de
Landtagsabgeordnete
Thomas Hentschel (Grüne) – thomas.hentschel.wk@gruene.landtag-bw.de
Dr. Alexander Becker (CDU) – alexander.becker@cdu.landtag-bw.de
Jonas Weber (SPD) – jonas.weber@spd.landtag-bw.de
Hans-Peter Behrens (Grüne) – hans-peter.behrens@gruene.landtag-bw.de
Tobias Wald (CDU) – tobias.wald@cdu.landtag-bw.de
Regierungspräsidentin Sylvia Felder
Nachrichtlich:
Gemeindetag Baden-Württemberg
Städtetag Baden-Württemberg
Landkreistag Baden-Württemberg

Gemeinsames Schreiben des Landrats und der Oberbürgermeister und Bürgermeister*innen des Landkreises Rastatt wegen der aktuellen Situation in der Flüchtlingsunterbringung

Sehr geehrte Frau Ministerin,
sehr geehrter Herr Minister,
sehr geehrte Bundes- und Landtagsabgeordnete,
sehr geehrte Frau Regierungspräsidentin,

zum ungewöhnlichen Schritt dieses Gemeinsamen Schreibens aller Oberbürgermeister, Bürgermeister*innen und des Landrats des Landkreises Rastatt sehen wir uns veranlasst, weil wir uns in einer äußerst prekären Situation befinden was die Unterbringungssituation für Flüchtlinge auf Kreis- und Gemeindeebene anbelangt. Die Kommunen haben die Aufnahme von Flüchtlingen auch mit Unterstützung der Bevölkerung bislang vorbildlich organisiert und alle Möglichkeiten ausgeschöpft, Unterkünfte zu akquirieren. Trotz größter Anstrengungen sind die endlichen Wohnraumkapazitäten nunmehr erschöpft. Die kommunale Familie steht mit dem Rücken an der Wand, wir befinden uns an einem gefährlichen Kipppunkt.

Die Wohnraumsituation war schon vor der jetzigen kriegsbedingten Flüchtlingswelle in unserem Landkreis äußerst angespannt. Die Kommunen unternehmen alles, um Wohnraum und Gemeinschaftsunterkünfte für ukrainische und sonstige Flüchtlinge zu akquirieren, sei es durch Anmietung von Wohnungen oder Häusern, Schaffung von Containerkapazitäten, Neubau von Flüchtlings- und Obdachlosenwohnungen, Appellen an die Bevölkerung zur Bereitstellung von Unterkünften u.v.m.. Diese Möglichkeiten sind zusehends erschöpft. Die Hilfsbereitschaft, die anfangs in der Bevölkerung bestand, führt nicht mehr zur Bereitstellung von Unterkünften im notwendigen Maße.

Das Land Baden-Württemberg teilte am 25.08.2022 mit, dass die Kapazitätsgrenze in der Erstaufnahme des Landes (12.000 Plätze) erreicht sei. Innerhalb der letzten Monate seien mehr Flüchtlinge nach Baden-Württemberg gekommen, als 2015/2016. Die Kommunen interpretieren die Situation genauso, können sich aber nicht auf Kapazitätsgrenzen berufen, weil sie das letzte Glied in der Unterbringungskette sind. Bundes- und Landespolitik erwecken jedoch den Eindruck, dass auf der untersten Verwaltungsebene ausreichend Aufnahmekapazitäten bestünden, dem ist aber nicht so.

Das Land Baden-Württemberg kann im Wesentlichen auf Aufnahmekapazitäten der ersten Flüchtlingskrise zurückgreifen, bei den Kommunen sind die Flüchtlinge von damals hingegen immer noch weitestgehend untergebracht und belegen somit aufgebaute Kapazitäten. Die Hoffnung auf Normalisierung der Situation durch eine vermehrte Rückkehr nach Beendigung des Kriegs hat sich schon in der letzten Flüchtlingswelle zerschlagen.

Die Förderprogramme des Landes zur Schaffung von Wohnraum laufen ins Leere, weil zum einen der Fördermitteltopf pro Kommune viel zu gering ist und z.B. Kauf und Sanierung von Bestandsgebäuden > 4 Jahre nicht gefördert wird, was Praxisbezug vermissen lässt. Zum anderen gibt es limitierende Faktoren, die die Städte und Gemeinden auch bei ausreichenden Fördermitteln nicht oder nur schwer beeinflussen können: Oft muss bei Neubaulösungen erst Baurecht geschaffen werden, es bestehen lange Wartefristen für Containerbeschaffungen, Engpässe auf dem Handwerkersektor bei Neubau- und Sanierungslösungen, Lieferkettenproblematik, horrende Preissteigerungen u.v.m..

Dem Eindruck, dass die Städte und Gemeinden jammern und es am Ende doch irgendwie hinbekommen, treten wir entschieden entgegen, die „Zitrone ist ausgepresst“.

Viele Städte und Gemeinden können bei der Unterbringung von Flüchtlingen auf die Unterstützung von Privatinitiativen zurückgreifen. Es häufen sich aber die Nachfragen dieser privaten Wohnungsgeber, dass deren Möglichkeiten zeitlich begrenzt sind, d.h. auch diese zukünftigen Unterbringungsnotwendigkeiten müssen die Kommunen als Obdachlosenbehörden einkalkulieren, können das aber nicht leisten.

Massenlager in Gemeindehallen mit allen begleitenden Diskussionen in der Bevölkerung, Vereinen, Schulen und in der Folge politischen Verwerfungen können nicht ernsthaft die Lösung des Problems sein. Offen bleibt auch hier die Frage, was geschehen soll, wenn auch diese Massenlager gefüllt sind? Bund und Land setzen auf Förderprogramme um das kulturelle, sportliche und soziale Leben und die pädagogische Arbeit in den Schulen und Kindergärten nach der Corona-Pandemie wiederzubeleben, was durch die Belegung von Hallen konterkariert oder unmöglich gemacht wird.

Landkreis sowie Städte und Gemeinden „verwalten“ derzeit weitestgehend die Flüchtlingssituation und die Menschen, die untergebracht werden müssen. Von einer Integrationsarbeit im klassischen und dringend erforderlichen Sinne kann angesichts der Zugangszahlen schon längst keine Rede mehr sein. Die Mitarbeiter vor Ort sind ausgelaugt und frustriert. Es mangelt nicht nur an Wohnraum, es fehlen auch psychologische und stationäre Betreuungsangebote (gerade für die Ukraine-Flüchtlinge), ausreichend Deutschkurse, Dolmetscherkapazitäten, Informationen über Leistungsangebote, Kindergartenplätze u.v.m..

Die Verwaltungsabläufe bei der Registrierung und Zuweisung von Flüchtlingen zwischen den Aufnahmeebenen laufen suboptimal. Eine Lernkurve aus der Situation 2015/2016 ist nicht immer erkennbar.

Die ehrenamtlichen Tafeln haben vielerorts in aufopferungsvoller Weise die Versorgung der Flüchtlinge mit Waren des täglichen Bedarfs, Bekleidung, Haushaltsgegenständen, Schulartikeln usw. übernommen, können diese Kraftanstrengung aber nicht mehr lange leisten. Ohne sie bricht dieses System aber in sich zusammen mit fatalen Folgen.

Wir senden einen dringenden Appell an alle Politiker auf Bundes- und Landesebene, die Probleme auf der untersten Verwaltungsebene nicht zu negieren oder auszublenden. Auf Bundesebene müssen die Pull-Effekte abgestellt und insbesondere der Rechtskreiswechsel für die ukrainischen Flüchtlinge vom Asylbewerberleistungsgesetz zu Hartz IV (und künftig dem Bürgergeld) zurückgenommen werden, weil dadurch falsche Signale ausgesendet werden. Wir
benötigen auf Landesebene eine Erhöhung der Erstaufnahmekapazitäten und verlängerte Aufenthaltsfristen in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen und in der vorläufigen Unterbringung (GU) auf Kreisebene mit verbesserter Betreuung und Erfassung der Flüchtlinge. Wir brauchen außerdem eine Absenkung und Flexibilisierung von Standards zur Gewährleistung der Integration z.B. in Schulen und Kindergärten aber auch im Baurecht, es bedarf eines Angebots an Sprachkursen, einer Verbesserung des Sozialmanagements und bei Hilfsangeboten für Flüchtlinge.

Bitte lassen Sie uns nicht im Regen stehen, wir zählen auf Ihr Verständnis und Ihre Unterstützung!

Unterschriften
gez. Herr Christian Dusch
Landrat des Landkreises Rastatt

gez. Bürgermeister Jürgen Pfetzer
Bürgermeisterverbandsvorsitzender
Gemeine Ottersweier

gez. Bürgermeister Frank Kiefer
Kreisverbandsvorsitzender Gemeindetag
Gemeinde Ötigheim

gez. Bürgermeister Constantin Braun
Gemeinde Bietigheim

gez. Bürgermeister Julian Christ
Gemeinde Gernsbach

gez. Bürgermeister Klaus Eckert
Gemeinde Durmersheim

gez. Bürgermeister Erik Ernst
Gemeinde Sinzheim

gez. Bürgermeister Christian Schmid
Gemeinde Iffezheim

gez. Bürgermeister Karsten Mußler
Stadt Kuppenheim

gez. Bürgermeister Christian Greilach
Gemeinde Lichtenau

gez. Bürgermeister Markus Burger
Gemeinde Loffenau

gez. Bürgermeister Johannes Kopp
Gemeinde Muggensturm

gez. Bürgermeister Daniel Retsch
Gemeinde Weisenbach

gez. Oberbürgermeister Hans Jürgen Pütsch
Stadt Rastatt

gez. Bürgermeister Helmut Pautler
Gemeinde Rheinmünster

gez. Bürgermeister Christof Florus
Stadt Gaggenau

gez. Bürgermeister Wolfgang Jokerst
Stadt Bühl

gez. Bürgermeisterin Veronika Laukart
Gemeinde Au am Rhein

gez. Bürgermeister Robert Wein
Gemeinde Bischweier

gez. Bürgermeister Hans-Peter Braun
Gemeinde Bühlertal

gez. Bürgermeister Rolf Spiegelhalder
Gemeinde Elchesheim-Illingen

gez. Bürgermeister Toni Hoffarth
Gemeinde Steinmauern

gez. Bürgermeister Robert Stiebler
Gemeinde Forbach

gez. Bürgermeisterin Kerstin Cee
Gemeinde Hügelsheim