Das Gesundheitsamt erlässt für alle Städte und Gemeinden im Landkreis Rastatt folgende
ALLGEMEINVERFÜGUNG:
- Die Sperrzeit für Schank- und Speisewirtschaften sowie für öffentliche Vergnügungsstätten beginnt abweichend von § 9 Abs. 1 GastVO sowie abweichend von etwaigen kommunalen Sperrzeitverordnungen um 23 Uhr und endet um 6 Uhr.
- Der Ausschank, die Abgabe und der Verkauf von alkoholischen Getränken ist Schank- und Speisewirtschaften sowie öffentlichen Vergnügungsstätten in der Zeit von 23 Uhr bis 6 Uhr des Folgetages verboten.
- Abweichend von § 2 Absatz 2 Sätze 1 und 2 CoronaVO Messen wird die Anzahl der tatsächlich gleichzeitig anwesenden Besucherinnen und Besucher dahingehend begrenzt, dass eine Mindestfläche von zehn Quadratmetern pro Besucherin oder Besucher bezogen auf die für die Besucherinnen und Besucher zugängliche Ausstellungsfläche nicht unterschritten wird.
- Für die Nichtbefolgung der Ziffern 1 und 2 dieser Allgemeinverfügung wird ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000 € angedroht.
- Diese Allgemeinverfügung tritt am 27. Oktober 2020 um 6 Uhr in Kraft.
- Diese Allgemeinverfügung tritt außer Kraft, sofern die sogenannte 7-Tages-Inzidenz pro 100.000 Einwohner bezogen auf den Landkreis Rastatt in sieben aufeinanderfolgenden Tagen unter dem Wert von 50 liegt. Maßgeblich ist die amtliche Feststellung des Landesgesundheitsamts zum Inzidenzwert des Landkreises Rastatt wie sie auf der Homepage des Landesgesundheitsamts ( https://www.gesundheitsamt-bw.de/Iga/DE/Fachinformationen/Infodienste_Newsletter/InfektNews/Seiten/Lagebericht_covid-19.aspx) veröffentlicht wird.
Allgemeine Hinweise:
Widerspruch und Anfechtungsklage gegen diese Allgemeinverfügung haben nach § 28 Abs. 3 IfSG i. V. m. § 16 Abs. 8 IfSG keine aufschiebende Wirkung. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe kann gemäß § 80 Absatz 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen.
Nach § 73 Abs. la Nr. 6 IfSG handelt ordnungswidrig, wer einer vollziehbaren Anordnung nach § 28 Absatz 1 Satz 1 oder Satz 2 IfSG zuwiderhandelt. Die Ordnungswidrigkeit kann gemäß § 73 Abs. 2 IfSG mit einer Geldbuße bis zu fünfundzwanzigtausend Euro geahndet werden.
BEGRÜNDUNG:
I. Sachverhalt
Nach dem Stufenkonzept der Landesregierung („Landeskonzept zum Umgang mit einer zweiten SARS-CoV-2-Infektionswelle”) geht mit einer 7-Tages-Inzidenz von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern ein starker Anstieg der Fallzahlen mit diffusen, häufig nicht mehr nachvollziehbaren Infektionsketten einher. Im Landkreis Rastatt sind die Fallzahlen so stark angestiegen, dass laut Lagebericht des Landesgesundheitsamtes Baden-Württemberg am 23.10.2020 die 7-Tages-Inzidenz von 50 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner erstmals seit der Hochphase im Frühjahr 2020 wieder
überschritten wurde. Dieser Inzidenzwert ist seit diesem Zeitpunkt dauerhaft überschritten.
Es besteht somit nicht mehr nur die Gefahr einer Ansteckung durch Personen aus den Risikogebieten, vielmehr liegt jetzt ein erhöhtes regionales Risiko vor, sich mit dem SARS-CoV-2 Virus zu infizieren. Häufig erfolgte eine Identifizierung von größeren Feiern im Familien- und Freundeskreis als Infektionsquellen (siehe Lagebericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 13.10.2020). Dies deckt sich auch mit den Erkenntnissen zum Infektionsgeschehen im Landkreis Rastatt. Die Infektionsketten können größtenteils nicht mehr nachvollzogen werden. Das Infektionsbild erscheint diffus. Konkrete
Infektionscluster sind nicht auszumachen.
Bei größeren Ansammlungen von Personen kann es schnell zu einer Vielzahl von Übertragungen von SARS-CoV-2-Erregern kommen. Der Hauptübertragungsweg für SARS-CoV-2 ist die respiratorische Aufnahme virushaltiger Flüssigkeitspartikel, die beim Atmen, Husten, Sprechen und Niesen entstehen. Bei jeder Zusammenkunft einer größeren Gruppe von Personen besteht die spezifische Gefahr einer Ansteckung. Wenn die Mindestabstände nicht sicher eingehalten werden oder aufgrund der örtlichen Bedingungen nicht mehr eingehalten werden können, begünstigt dies die Übertragung von SARS-CoV-2 von Mensch zu Mensch. Hinzu kommt, dass die Inkubationszeit des Virus laut RKI bis zu 14 Tage beträgt. Es ist nach den vorliegenden Erkenntnissen möglich, dass Personen das Virus in sich tragen und bereits ausscheiden (die Person also infektiös ist), noch bevor erste Symptome auftreten.
Ein Impfstoff oder die Möglichkeit einer medikamentösen Behandlung des Virus SARS-CoV-2 existiert derzeit noch nicht. Bei einer unkontrollierten Ausbreitung ist in kurzer Zeit mit einer hohen Anzahl behandlungsbedürftiger Personen mit schweren und kritischen bis hin zu tödlichen Krankheitsverläufen zu rechnen. Es droht daher die Gefahr, dass die Strukturen der Gesundheitsversorgung durch den gleichzeitigen starken Anstieg an Patienten mit ähnlichem Behandlungsbedarf überlastet werden. Eine solche Überlastung muss dringend vermieden werden.
Um die Verbreitung der Infektionskrankheit wirkungsvoll zu verhindern, muss das Ansteckungsrisiko daher möglichst minimiert werden.
Das RKI als konzeptionierende Stelle im Sinne von § 4 IfSG empfiehlt als geeignete Gegenmaßnahme zuvorderst die Einhaltung geeigneter Hygienemaßnahmen, Kontaktreduktion und den Schutz besonders vulnerabler Personengruppen (vor allem ältere oder vorerkrankte Personen).
II. Rechtliche Würdigung
Die Landesregierung hat mit der Rechtsverordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus (CoronaVO) vom 23. Juni 2020, zuletzt geändert am 19. Oktober 2020 in der jeweils gültigen Fassung auf Grund von § 32 i. V. m. §§ 28 bis 31 IfSG infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 angeordnet. Gemäß § 20 Abs. 1 CoronaVO können die zuständigen Behörden weitergehende Maßnahmen zum Schutz vor Infektionen treffen.
Aufgrund der sich jedoch weiterhin dynamisch entwickelnden Erkrankungslage sieht das Gesundheitsamt die Notwendigkeit, weitergehende kontaktreduzierende Maßnahmen zur Beeinflussung der Ausbreitungsdynamik zu ergreifen; auch um besonders vulnerable Gruppen zu schützen.
Die Allgemeinverfügung beruht auf §§ 28 Abs. 1 Abs. 3, 16 Abs. 6 IfSG i. V. m. § 1 Abs. 6a S. 1, 3 der Verordnung des Sozialministeriums über Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz, Baden-Württemberg (IfSGZustV BW) sowie § 20 Abs. 1 CoronaVO. Das Gesundheitsamt des Landratsamts Rastatt ist aufgrund der Überschreitung des Inzidenzwertes von 50 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner bezogen auf den Landkreis nach Feststellung des Landesgesundheitsamts vom 23. Oktober 2020 gemäß § 1 Abs. 6a S. 1 IfSGZustV zuständig Maßnahmen nach § 28 Abs. 1 IfSG mit Wirksamkeit für den gesamten Landkreis Rastatt zu erlassen.
Die Allgemeinverfügung ist zur Verhinderung der weiteren Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich.
Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG kann die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider im Sinne des § 2 Nr. 4 bis 7 IfSG festgestellt werden, Maßnahmen ergreifen, soweit und solange dies zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.
Der Anwendungsbereich ist nach den vorliegenden Erkenntnissen eröffnet. Denn das Virus SARSCoV-2 hat sich im Landkreis Rastatt bereits verbreitet. Im Landkreis Rastatt ist mittlerweile die 7-Tages-Inzidenz von 50 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner deutlich überschritten.
Aufgrund des vorherrschenden Übertragungswegs der Tröpfcheninfektion ist eine Übertragung von Mensch zu Mensch (z. B. durch Husten, Niesen), auch durch mild erkrankte oder asymptomatisch infizierte Personen leicht möglich. Insbesondere bei Personen, die relevanten Kontakt zu einer bestätigten an COVID-19 erkrankten Person hatten, ist auf Grund der vorliegenden Erkenntnisse anzunehmen, dass diese das Virus in sich aufgenommen haben und somit ansteckungsverdächtig sind.
Zweck der Allgemeinverfügung ist es, die Ausbreitung des SARS-CoV-2 Virus zu verlangsamen, Infektionsketten zu unterbrechen und die Gesundheitsversorgung für die gesamte Bevölkerung aufrecht zu erhalten.
Für die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckungsgefahr gilt dabei kein strikter, alle möglichen Fälle gleichermaßen erfassender Maßstab. Vielmehr ist der geltende Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BGH, Urteil vom 22.03.2012, Az. 3 C 16/11).
Aufgrund der besonderen Gefahr, die von dem neuartigen Erreger wegen seiner hohen Übertragbarkeit und der Zahl der schweren bis hin zu tödlichen Krankheitsverläufen für die öffentliche Gesundheit in Deutschland und weltweit ausgeht, sind an die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung eher geringe Anforderungen zu stellen.
Der Erlass des Ministeriums für Soziales und Integration vom 23. Oktober 2020 (Az: 51-1443.1 SARSCOV-2/6) sieht vor, dass bei einer Überschreitung der 7-Tages-Inzidenz von 50/100.000 Einwohner bezogen auf einen Landkreis oder eine kreisfreie Stadt (lies: Stadtkreis) die Ausweitung der Sperrzeit für gastronomische Betriebe sowie die Einführung eines Außenabgabeverbots für Alkohol und Beschränkung der Teilnehmerzahl für Messen anzuordnen ist.
Die Einführung einer Sperrstunde für Gastronomiebetriebe ab 23 Uhr dient insbesondere dazu, dem nächtlichen Ausgehverhalten der Bevölkerung ein steuerbares zeitliches Ende zu setzen. Mit fortschreitender Stunde nimmt erfahrungsgemäß auch die Alkoholisierung und damit einhergehend die Enthemmung der Besucherinnen und Besucher von Gastronomiebetrieben zu. Dies führt zu einer stetigen Verschlechterung der Einhaltung von Hygiene- und Infektionsschutzregeln, weshalb eine zeitliche Begrenzung der Möglichkeit zum Ausgehen notwendig ist.
Das parallele Außenabgabeverbot von Alkohol ab 23 Uhr dient dazu, Ausweichreaktionen des Publikums zu verhindern, nachdem eine Bewirtung in den zuvor geöffneten Lokalitäten endet. Ziel ist dabei, den Konsum alkoholischer Getränke im öffentlichen Raum, wobei wiederum die Verletzung von Hygiene und Infektionsschutzregeln zu erwarten ist, zu verhindern und dadurch die Verbreitung des SARS-CoV-2 Virus möglichst einzudämmen.
Die Beschränkung der Besucherzahlen für Messen in Abweichung von § 2 Abs. 2 S. 1 und 2 der Verordnung des Wirtschaftsministeriums und des Sozialministeriums zur Eindämmung von Übertragungen des Corona-Virus (SARS-CoV-2) auf Messen, Ausstellungen und Kongressen (CoronaVO Messen) vom 14. Juli 2020 in der ab 29. August 2020 geltenden Fassung hat zum Ziel, die Besucherdichte und damit auch die Besucheranzahl auf Messen weiter zu verringern und so die Infektionswahrscheinlichkeit weiter zu senken. Aufgrund des hohen Infektionsgeschehens im Landkreis Rastatt erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass es bei einem hohen Besucheraufkommen zu Infektionen kommen wird. Dies hätte besonders schwerwiegende Konsequenzen, weil die Besucher einer Messe naturgemäß aus einem größeren Einzugsbereich anreisen und sich die Kontaktpersonennachverfolgung damit als äußerst aufwendig erweist und durch das ohnehin bereits stark ausgelastete Gesundheitsamt kaum mehr zu leisten wäre.
Bei einer weiteren Ausbreitung der Infektion ist damit zu rechnen, dass diese nicht mehr kontrollierbar ist und das Gesundheitssystem die Versorgung der schwer erkrankten Personen nicht mehr sicherstellen kann. Hierbei handelt es sich um sehr hohe Schutzgüter, denen Vorrang zu gewähren ist. Insoweit überwiegt der Gesundheitsschutz der Bevölkerung, insbesondere der Schutz der potentiell von schweren Krankheitsverläufen bedrohten Personen vor einer Ansteckung, die allgemeine Handlungsfreiheit und die mittelbar betroffenen wirtschaftlichen Einbußen der Gastronomiebetriebe.
Diese Allgemeinverfügung ist somit nach entsprechender Abwägung der betroffenen Rechtsgüter verhältnismäßig.
Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz Baden-Württemberg sind Zwangsmittel vor ihrer Anwendung anzudrohen. Mildere Mittel als die Festsetzung von Zwangsgeld kommen nicht in Betracht, um die Beschränkungen durchzusetzen. Unmittelbarer Zwang ist — sofern überhaupt geeignet — kein milderes Mittel. Ferner muss die Anordnung sofort durchgesetzt werden, um die Verbreitung einer übertragbaren Krankheit mit potentiell schwersten Folgen für die Betroffenen zu verhindern.
Von einer Anhörung wurde aufgrund der Eilbedürftigkeit und der Vielzahl an Betroffenen gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 4 LVwVfG abgesehen.
Gemäß §§ 28 Abs. 3 i. V. m. 16 Abs. 8 IfSG haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen diese Maßnahme keine aufschiebende Wirkung.
Diese Allgemeinverfügung wird am 26. Oktober 2020 ortsüblich bekannt gegeben. Bereitstellungstag ist der 26. Oktober 2020. Sie tritt am 27. Oktober 2020 um 6 Uhr in Kraft.
Im Übrigen gelten insbesondere die durch die Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (CoronaVO) verordneten Maßnahmen.
IHR RECHT
Gegen diese Allgemeinverfügung kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden beim:
Landratsamt Rastatt
Am Schlossplatz 5
76437 Rastatt
Rastatt, 26. Oktober 2020
gez. Dr. Peter
Erster Landesbeamter — ständiger allgemeiner Vertreter des Landrats
Coronavirus_Allgemeinverfügung des Gesundheitsamts des Landratsamtes Rastatt vom 26.10.2020